RAJASTHAN – Blaue, weiße, heiße Städte
SO WAR ES:
Ich komme im März an. Gleichzeitig mit dem Hochsommer.
Es hat – genau wie in Varanasi – jeden Tag 43-45 Grad, die sich in den engen Gassen voller Motorroller und brennender Müllhaufen gefühlt verdreifachen.
In den Unterkünften ist es leer, denn die meisten Backpacker sind in den kühleren Süden oder Norden geflohen. Memmen.
Ich dagegen hüpfe barfuß auf den kochend heißen Marmorböden der Tempel entlang, schlafe entweder in Winterjacke und Thermoleggins, um Zimmer mit Klimaanlage zu ertragen, oder in möglichst wenig, um Zimmer ohne Klimaanlage zu ertragen. Ich stopfe mich und meine Rucksäcke in stickige Busse und Züge und bekomme irgendwann so nervige Gesichtsnervenschmerzen, dass ich beschließe, künftig um fünf Uhr morgens aufzustehen und mittags einige Stunden unter einem Ventilator dahinzuvegetieren, bis es draußen wieder auf gemütliche 35 Grad abgekühlt hat. Memme.
Weil ich auf der Straße dann meist die einzige Weiße bin, ziehe ich alle Aufmerksamkeit auf mich.
Sind wir beim Stichwort: Selfies.
„One Selfie, please!“
So muss sich Angelina Jolie fühlen, wenn sie morgens nur mal kurz zum Bäcker will.
Nur in weniger verschwitzt und nicht in Plunderhosen.
Doch auch in diesem Aufzug bin ich in den Augen der Inder wunderschön (weil schön bleich).
Und so schallt es mir von überall – mal mehr, mal weniger schüchtern – entgegen: „One Selfie please?“
Das Fotoshooting kann dauern, denn fängt einer an, formatiert sich nicht selten eine ganze Schlange an Handy-zückenden Indern.
Ich sage selten nein, denn ich fotografiere die Leute hier ja auch gerne.
Allerdings frage ich sie vorher immer.
Anders als diejenigen Inder, die versuchen, mich heimlich durch mehr oder weniger geschickte Handydisplay-Ausrichtung mit aufs Selfie zu bekommen.
Jedes Mal wieder muss ich den Reflex unterdrücken, eine schlimme Grimasse zu ziehen.
Zu müde bin ich dazu während des Inlandsfluges, auf dem ich neben einer älteren Frau sitzend einnicke und neben ihrer posierenden Enkeltochter und der im Gang knieend fotografierenden Großmutter wieder aufwache.
Oh, und falls die indische Reisegruppe vom Pushkar Lake mitliest: Ich hätte gerne das Selfie mit euch, während dem mich diese Biene gestochen hat.
(was die zwei anderen Reisegruppen, die schon fürs nächste Selfie anstanden, übrigens wenig interessierte ;))
Sind wir beim Stichwort: Aua!
Aua!
Zwei Indien-Wochen lang habe ich alles gegessen, was mir zwischen die Zähne gekommen ist.
Scharfes, Streetfood von rostigen Pfannen, Lassi, bei dem der Joghurt noch mit der Hand in den Tonkrug geschaufelt wird, und war sehr stolz darauf, mir anders als alle anderen nicht den Magen verdorben zu haben.
So stolz, dass ich mir in Pushkar einen frischen Ananassaft gönne und bei keinem Schluck daran denke, dass Ananassaft mit Leitungswasser aufgemixt wird.
Einen Becher, eine Woche, ein Fieber und – na ja, ihr wisst schon – später kann ich immer noch nichts anderes essen als gekochten Reis mit nichts und sehe langsam dank Hitze und Allesmangel aus wie eine bleiche Dörrpflaume in Plunderhosen (auf diversen Selfies nachzugucken).
Nachdem meine 11-Tageswanderung in Nepal mit jedem Tag bedrohlich näher rückt, gehe ich jeden Tag in eine andere Apotheke, nehme jeden Tag andere Medikamente, die nichts helfen, besuche einen Aryurveda-Arzt, der mir erklärt, dass man nach 16 Uhr halt auch echt keine Ananas essen darf und lande schließlich im Krankenhaus bei einem schlecht gelaunten Ausländerarzt, der mir zweimal wortlos auf den Bauch drückt, und mir irgendetwas verschreibt, das mich innerhalb von drei Tagen wieder fit macht.
Danke, stummer Held.
Leider konnte ich aufgrund – na ja, ihr wisst schon – den Kartoffelguru Aloo Gobi in Pushkar nicht besuchen.
Er isst seit 14 Jahren angeblich nichts anderes als Kartoffeln. Diätmäßig hätten wir uns sicher ausgezeichnet verstanden.
Sind wir beim Stichwort: Hinduismus.
Hinduismus
Ich verstehe keine Religion so wirklich. Aber den Hinduismus schon gleich 330 Millionenfach nicht. So viele Götter gibt es hier nämlich (
(OMGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGGG….)
An jeder Straßenecke findet sich ein mal kleinerer, mal größerer bunter Tempel, der mindestens einem dieser Götter gewidmet ist.
Dem blauen Krishna mit der Flöte, dem vierarmigen Elefanten Ganesha, dem genauso vierarmigen Shiva, dem Affengott und so weiter und so fort.
Sie alle abzuklappern kann einen braven Hindu leicht den ganzen Tag beschäftigen.
Und billig ist es auch nicht, denn jeder Gott will beopfert werden… mit wunderschönen Blumenketten, oder – viel praktischer – gleich mit Geldscheinen.
Ich hoffe sehr, dass die Götter mehr Verwendung für das Geld haben als die vielen bettelarmen Menschen, die vor den Tempeln auf der Straße liegen… mitten im täglichen Verkehrswahnsinn – das nächste Stichwort.
Der Verkehr
Der Verkehr hier ist symbolisch für das Zusammenleben in Indien.
Jeder fährt so, als wäre der andere nicht da.
Anfangs stehe ich fassungslos vor den Kreuzungen, die nur so zum Spaß mit Ampeln und Zebrastreifen dekoriert sind.
Kreuz und quer fahren hier Autos, Fahrradrischkas, Tuktuks und Motorroller durcheinander. Und immer wenn ich denke: „Jetzt kracht`s gleich!“, hupt es nur.
Ich verstehe die „Verkehrsordnung“ erst, als mir eine Inderin erklärt:
„Wir fahren nicht nach Sicht, sondern nach Gehör.
Man fährt, ohne sich umzusehen, und wenn jemand vorbei will oder entgegenkommt, muss er eben hupen.“
Deshalb hupen indische Autofahrer vor jeder Kurve, vor jeder Kreuzung, vor jedem entgegenkommenden Fahrzeug und dazwischen auch, einfach so.
Früher oder später muss man auch als Fußgänger über eine dieser Straßen.
(Wobei ich mir beim Anblick des sechsspurigen Highways in Mumbai kurz überlegt habe, einfach ein Hostelzimmer auf der anderen Seite zu nehmen.)
Doch schon bald habe ich es raus. So funktioniert Straßenüberquerung in Indien:
Man setzt ein ernstes Gesicht auf, geht – einen Arm nach vorne gestreckt – entschlossen über die Straße und hält damit alle kommenden Autos Moses-mäßig auf.
Gleichzeitig winkt man den nächsten Fußgänger mit dem anderen Arm hinter sich her, was wohl bedeuten soll: „Komm, lass uns gemeinsam platt gefahren werden.“ Oder taub gefahren.
Sind wir beim Stichwort: Sound.
Der Sound
Ich treffe eine andere Reisende (juhu!), mit der ich mich jedoch leider kaum unterhalten kann, denn sie geht nur noch mit Ohropax aus dem Hostel, um die Lärme hier zu ertragen.
Der Soundteppich ist in der Tat gewaltig.
In jedem Tempel wird getrommelt und geglockt. Alles, was eine Hupe hat, hupt.
Alles, was einen Lautsprecher hat, dröhnt. Und die Kinder haben, wenn sie nicht gerade brüllen, eine Tröte oder eine Trillerpfeife im Mund.
Ist es hier still, dann stimmt etwas nicht.
Dann werden die Leute unruhig und die Babys können nicht schlafen.
Ich habe dahingehend keine Bedenken, denn wohin ich auch gehe, folgen mir die Rufe „Madam, Tukuk? Tuktuk Madam? Madam Tuktuk? Madam, where you from? Where you from Madam?“ und ich habe mehrmals überlegt, mir ein Schild zu basteln mit der Aufschrift „“From Germany. No, thank you! I`M NOT A MADAM!!!“
UND HIER WAR ICH:
Pushkar
Eine Ruheoase für Backpacker, in der diese oft monatelang hängenbleiben, weil es hier – anders als in den anderen Touri-Städten Rajasthans – entspannt und klein ist.
Die Hauptsehenswürdigkeiten hier sind kiffende Israelis und der wunderschöne Pushkar Lake im Sonnenuntergang.
Ich werde von den Händlern schon am zweiten Tag mit meinem Namen (oder zumindest mit „Hey, German!“) begrüßt, bleibe in einem Homestay, dessen Besitzer von Zweitberuf Kameldekorateur ist (ALLES richtig gemacht!) und schaffe es, meine drei Tage hier ohne Alkohol, Fleisch und Eier zu überstehen… die sind nämlich in der ganzen Stadt verboten, denn Pushkar ist eine heilige Stadt.
Jodhpur
Die blaue Stadt, über der ein Wahnsinns-Fort thront, durch das ich mich kichernd Fort-bewege, denn der deutsche Audioguide hat einen unverholenen österreichischen Dialekt.
Nur so kann es romantisch klingen, welchen Liebesbeweis die Frauen des Maharajas (also die vielen Sissis des indischen Franz) nach dessen Tod vollbrachten:
„Sie stiegen zum Leichnam ihres Mannes, als die Flammen sie umfingen und in himmlischer Vereinigung verbanden.“
Ja geh, heaast!
Udaipur
Hierhin komme ich nach einem Tag Traum-Autofahrt, vorbei an grünen Wäldern, kleinen Dörfern, fliegenden Pfauen und badenden Wasserbüffeln, den wunderschönen Marmortempeln von Ranakpur und dem gewaltigen Fort von Chittogarh.
Ich bleibe erneut in einem Homestay, dessen Besitzer wohl nicht zu den Ärmsten in Indien gehören.
Zumindest zeigt mir die Hausherrin stolz den Mantel, den sie sich in München bei Konen gegönnt hat und ihr Mann kann sich leider nicht um das streikende Wifi kümmern, weil er dringend zum Golfen muss.
Udaipur – auch genannt weiße Stadt – kennt man vor allem wegen des Luxushotels am See, in dem schon James Bond in Octopussy nächtigte.
Hier ist es so romantisch, dass ich gleich 5 Paare gleichzeitig beim Hochzeitsbilder-Shooting anfeuern darf.
Wer von beiden ihn wohl Ende heiraten darf?: