VARANASI – Holy Shit!
Was ist ist:
Varanasi ist eine der ältesten Städte der Welt und das Jerusalem der Hindus.
Sie pilgern von überall hier her, wegen des Ganges – der dreckigste Fluss Indiens, aber auch der heiligste.
Und am Allerheiligsten ist er hier, in Varanasi.
Der Stadt mit den berühmten Ghats – den Steinstufen, die kilometerweit am Ganges entlang laufen.
Wer sich in Varanasi begraben lässt, durchbricht nach dem hinduistischen Glauben den ewigen Kreislauf der Wiedergeburt, geht sicher, nicht als Kröte wiedergeboren zu werden und findet endlich Frieden.
So werden an den Burning Ghats, dem Bestattungsbereich am Ufer, auf einfachen Holzstapeln jeden Tag um die 300 Körper zu Asche gebrannt und in den Ganges gestreut.
Öffentlich zugänglich für jeden, unter freiem Himmel, mitten in der Stadt.
Wie es war:
Nach einer schön entspannten Woche in Kerala komme ich spätabends in Varanasi an.
Vor dem Fenster meines Taxis ziehen brennende Müllhaufen vorbei, Kühe, Ziegen, Sadhu-Priester mit Dreadlocks und orangenen Gewändern und zwei Polizisten, die gerade mit langen Holzstöcken auf ein paar Rollerfahrer eindreschen.
Und dann wirft mich der wenig freundliche Taxifahrer mitten in diesem Chaos aus dem Auto.
Er ruft eine Gruppe Männer herbei: „Kann die jemand zu ihrem Hostel bringen? Keine Ahnung, wo das ist.“
Glücklicherweise gerate ich an einen netten „Guide“, der mich für ein paar Rupien durch enge Gassen voller zugedröhnter Spiritueller, Motorroller, Kuhfladen und daneben schlafenden Obdachlosen in mein Hostel bringt.
Hier bleibt außer mir nur eine indische Familie. Tagsüber hat es 45 Grad, es ist Nebensaison.
Doch jetzt ist es Nacht. Der Besitzer führt mich auf die Dachterrasse, direkt am Ganges.
„Erstmal entspannen“, sagt er, und bietet mir seinen Whiskey-Flachmann an.
Eine riesige weiße Rauchsäule steigt vor uns empor.
„Das ist Menschenrauch“, sagt er, von den Burning Ghats.
Ich höre Musik herüberschallen.
„Heute ist ein Festival“, sagt er, „direkt ums Eck. It`s great fun!“
„Kann ich da hingehen?“, frage ich.
„Klar!“, sagt er. Dann ruft er sicherheitshalber einen Freund an.
„Nein.“, sagt er. „Es ist zu gefährlich, die Männer sind betrunken.“
Wir schweigen eine Weile.
Dann schreien sich im Haus gegenüber ein Mann und eine Frau so furchtbar heftig an, dass ich nur darauf warte, dass einer von beiden plötzlich verstummt.
Vor dem Haus versammelt sich schnell eine Menge Schaulustiger.
„Kommt denn da keine Polizei?“, frage ich.
„Wir rufen nie die Polizei“, sagt er. „Die nehmen nur Bestechungsgelder. Wir regeln unsere Sachen selbst.“
Am nächsten Morgen spaziere ich zum Ganges und komme direkt am Burning Ghat heraus.
Circa 50 Meter von mir entfernt werden in orangene Stofftücher gewickelte Körper im Ganges gebadet und dann aufs Feuer getragen. 3 Stunden dauert es, bis nichts mehr übrig ist.
„Wieso schaut man sich das an?“, fragt ihr vielleicht.
Weil die Welt, so wie ich sie kenne, hier dermaßen auf dem Kopf steht, dass es mich einfach nicht loslässt.
Unsere Beerdigungen, diese Beerdigungen. Es ist so anders.
Wenn Menschen bei uns sterben, ist das meistens eine Tragödie.
Wir verstecken sie in Särgen oder Urnen, wir wollen sie so nicht sehen.
Wir trauern, wir weinen. Für uns, im kleinen Kreis.
Hier, sagt man mir, ist der Tod Normalität. Er gehört zum Leben.
Wenn jemand stirbt, sehen die Angehörigen zu, wie er langsam verschwindet.
In aller Öffentlichkeit.
Es ist kein geheimes Trauern. Es ist gar kein Trauern.
Man sieht niemanden weinen. Keine Emotionen.
Die Menschen sehen so gleichgültig aus, als würden hier ein paar Marshmallows auf einem Grill verkohlen.
Ist das alles nur aufgesetzt? Die Trauer versteckt, weil man sie nicht öffentlich zeigt?
Oder glauben die Menschen hier wirklich so sehr an die Erlösung, dass sie nicht traurig sind?
Ich kann es mir nicht vorstellen, aber ich weiß es nicht.
Und ich kann auch niemanden fragen, denn der Hostel-Besitzer hat mir eingebläut, am Burning Ghat mit niemandem zu sprechen.
Brav ignoriere ich alle Händler, Bootstouren-Anbieter und Restaurant-Besitzer.
Doch dann kommt ein sympathischer Inder auf mich zu, der mich bittet, keine Nahaufnahmen von den Bestattungen zu machen, aus Respekt vor den Familien.
„Klar, das ist selbstverständlich“ sage ich.
Er erzählt mir, dass hier rund um die Uhr bestattet wird, und vom heiligen Feuer, das seit 3500 Jahren brennt und an dem alle Beerdigungs-Feuer entzündet werden.
„I`m not a Tourguide“, sagt er irgendwann.
Er arbeite für eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich um die alten Menschen kümmert, die nach Varanasi kommen, um hier zu sterben… und dann aber doch so lange leben, dass ihnen das Geld ausgeht. Er deutet auf zwei Häuser.
„Das sind unsere Hospize. 240 Menschen leben hier im Moment.“
Er habe gute Beziehungen und könne mich ganz nah an die Bestattungen und an das heilige Feuer ranbringen, sagt er.
Ich könnte mich ja mit einer kleinen Spende für die Hospize revanchieren.
Ich lehne nicht-dankend ab.
In der Ferne sehe ich einen Touristen erst direkt neben dem heiligen Feuer und danach mitten in einer Bestattung stehen. Mit einem anderen „Not a Tourguide“
Später erzählt mir ein Einheimischer: In diesen Häusern sind keine Hospize.
Die Jungs kaufen sich von den Spenden Hasch.
Der Gang vorbei an den Burning Ghats wird für mich bald so normal wie es für die Inder ist, und ich schaue gar nicht mehr so wirklich hin.
Bis auf dieses eine Mal, als eins nach dem anderen passiert.
Da, ein Sadhu in orangefarbenem Gewand tanzt fröhlich auf der Asche eines gerade verbrannten Menschen. Die Angehörigen scheint das nicht zu stören.
Da, weiter hinten, tragen vier Männer eine tote Kuh heran – kopfüber an den Beinen haltend.
Sie bringen sie zum Ufer und das nächste Mal, als ich hinsehe, ist sie weg.
Da, der Sadhu macht jetzt Handstand auf der Asche. Die Angehörigen stört auch das nicht.
Da, eine Gruppe Männer stellt eine Bahre voller Stofftücher auf dem Boden ab.
Sie entfernen die Tücher und mir bleibt die Luft weg.
Darunter ist der kleine Körper eines Kindes, eingehüllt in ein Leintuch. Lackierte Zehennägel schimmern durch den weißen Stoff.
Mit keinem Ausdruck im Gesicht legen sie das Kind auf ein Ruderboot und fahren mit ihm einige Meter weiter Richtung Flussmitte.
Da, ein Touristen-Boot mit wummernder Techno-Musik hält direkt vorm Burning-Ghat.
Party-Inder mit bunten Sonnenbrillen nippen an ihren Cocktails und beobachten die Bestattungen.
Die Musik dröhnt weiter. Die Angehörigen stört das nicht.
Ich blicke wieder zum Ruderboot. Das Kind ist weg.
Am Abend frage ich den Hostel-Besitzer:
„Was haben sie mit ihm gemacht? Und was war das mit der Kuh?“
Er erzählt mir, dass nicht alle Körper verbrannt werden.
Die Leichen von Kindern, Tieren, schwangeren Frauen, an einem Kobrabiss Verstorbenen und Leprakranken sind auch unverbrannt schon rein.
Also werden all diese Menschen und alle Tiere, die hier in Varanasi sterben, einfach in den Fluss geworfen?
„Es sind ja nicht so viele.“, sagt er.
Direkt neben dem Burning Ghat sind die weiteren Ghats.
Dort putzen sich Menschen mit dem Ganges-Wasser die Zähne.
Sie baden darin, tauchen unter, das ist ein Ritual.
Sie waschen ihre Wäsche darin.
Und manchmal sehe ich auch meditierende, friedlich lächelnde Touristen, die so zufrieden aussehen, als seien sie am schönsten Ort der Welt gelandet.
Ich fühle mich fremd.
Als die positiven Schwingungen hier verteilt wurden, war ich wohl gerade einen Lassi trinken.
Auch die Sadhus lächeln zufrieden aus ihren langen Bärten.
Sie – so sagt es der Reiseführer – haben sich von allem Materiellen losgelöst und meditieren nur noch, weil sie verstanden haben, dass Geld nicht glücklich macht.
Freundlich winken sie jedes Mal, wenn ich an ihnen vorbeigehe und fragen, ob ich nicht vielleicht ein Foto von ihnen machen will. Für ein paar Rupien.
Und trotzdem … die Ghats entlang zu schlendern ist absolut atemberaubend.
Die knalligen Farben, die surreal aussehenden alten Gebäude, auf denen die Affen herumturnen, die bombastischen Sonnenauf- und Sonnenuntergänge.
Hin und wieder muss ich meine Spaziergänge jedoch für eine gymnastische Übung unterbrechen.
Dann gehe ich in Segensdeckung.
Denn ständig peilen mich Hindu-Priester mit Goldschalen voller Farbe an.
Sie wollen mir nur einen Segenspunkt auf die Stirn drücken, sagen sie.
Und dafür ein paar Rupien, sagen sie nicht.
Ohne Geld kommt man auch in den vielen Tempeln Varanasis nicht weit. 23000 an der Zahl.
Im ersten Tempel, den ich mir anschauen will, werde ich sofort abgewiesen. „Keine Ausländer!“, schreit man mich an.
Ich versuche es im Goldenen Tempel, dem wichtigsten Shiva-Tempel überhaupt.
Als ich dort ankomme, stehen die Inder bereits durch mehrere Straßenzüge Schlange.
Ich frage nach dem Eingang für Touristen, von dem ich im Lonely Planet gelesen habe.
Ein Mann nickt eifrig und führt mich in einen Blumenladen.
„Wir bringen dich sofort rein“, meint er. Ich müsse nur für umgerechnet 1,50 Euro Blumen-Opfergaben kaufen und meinen Pass bereit halten. Für die Polizisten.
„Sag denen, du bist Hinduistin und willst deinen Körper reinigen.“ Mit Blick auf die lange Schlange an korrekt anstehenden wirklichen Hindus, beschließe ich, lieber zum nächsten Tempel zu laufen.
Hier gewährt man mir Einlass… aber nur wenn ich Opfergaben kaufe.
„Na gut.“, willige ich ein, dann kaufe ich eben Opfergaben.
Die Eingangs-Frau hievt einen riesigen Stapel Blumenketten auf eine riesige Schale, mit der ich alle 330 Millionen Hindugötter hätte beopfern können.
Ich schüttle den Kopf. „Opfergaben für 20 Rupien bitte.“
Das ist der Eintrittspreis, der auch in anderen Tempeln verlangt wird.
Die Eingangs-Frau schnaubt verächtlich, und händigt mir nun eine einzige Blumenkette aus.
Ich betrete den Tempel. Wunderschön, voller bunter Statuen, die Räume niedrig und dunkel.
Im Opferraum lege ich meine Blumenkette auf den Blumenberg, der sicher einen Wert von über tausend Euro hat.
Neben dem Ausgang finde ich schließlich die Opfergaben-Müllkippe mit den Blumenketten von gestern, die eine Kuh gerade genüsslich verspeist.
Danach geht es wieder hinaus auf die Straße, auf der hungernde Menschen sitzen.
Eine Blumenkette kostet so viel wie ein Frühstück.
Richtig feierlich wird es in Varanasi Abends, beim Ganga Aarti, der täglichen Abendzeremonie direkt am Ganges, bei der Hindu-Priester eine Bollywoodeske Choreografie aufführen und ihren Segen über die Menschenmenge verteilen.
Ich bin als ordentliche Deutsche selbstverständlich extra früh gekommen, um einen guten Platz im Gewimmel zu haben.
Doch dann entdecke ich hinter mir eine glatzköpfige Jain-Inderin, die mindestens zwei Glatzköpfe kleiner ist als ich.
„Komm nach vorne!“, gestikuliere ich.
Dankbar lächelnd schiebt sie sich, Hand in Hand mit 20 anderen glatzköpfigen Jain-Inderinnen, die ich wohl übersehen hatte, an mir vorbei.
20 Glatzköpfe lächeln mich herzlich an.
Ich lächle herzlich zurück und gehe in Deckung. Ein Segens-Bringer mit Goldschale naht.
Doch dann sehe ich, wie sich alle zwanzig Jain-Inderinnen die Glatzköpfe segnen lassen.
Ermutigend lächeln sie mich an.
Und weil auch der Segner so nett lächelt, denke ich mir „Komm, was soll`s!“ und lasse mich bepunkten.
Strahlend schaut mir der Priester danach tief in die Augen.
Ich hätte einen guten Charakter, das würde er sehen. Er wünsche mir alles, alles Gute für die Zukunft, viele Kinder und ein glückliches Leben.
Ich gebe ihm ein paar Rupien. Wohl ein paar zu wenig.
Denn er schnaubt nur verächtlich und geht mit einem verächtlichen „Pfft!“ grußlos ab.
Jetzt steht ein Bettlerkind vor mir. So viele haben mich gewarnt: Gib ihnen nichts, sie dürfen es sowieso nicht behalten.
Immer habe ich mich daran gehalten, aber nun lächeln mich zwanzig glatzköpfige Jain-Inderinnen auffordernd an.
Und blicken ermahnend auf meine teure Kamera und dann wieder auf das Kind, das nun immer lauter zu weinen beginnt.
„Please, Please!“ brüllt es, und weil ich mir nicht anders zu helfen weiß, gebe ich ihm ein paar Rupien.
Zwanzig glatzköpfigen Jain-Inderinnen lächeln zufrieden, und schon hängen zwei weitere weinende Kinder an meiner Hose. Diesmal bleibe ich hart.
Zwanzig glatzköpfige Jain-Inderinnen lächeln enttäuscht.
Am nächsten Morgen mache ich eine Bootsfahrt im Sonnenaufgang.
Ich weiß, was eine Bootsfahrt kosten darf, und habe einen der Fahrer immerhin vom vierfachen auf den doppelten Preis heruntergehandelt.
„Come on, they need to make a living!“, lächelt ein in indische Stoffe gehüllter englischer Tourist im Boot neben mir.
„Er hat ja recht“, denke ich, und entspanne mich.
Ein Kind steigt mit ins Boot.
„Das ist mein Sohn“, sagt der Fahrer. „Er will auch mal rudern“
„Klar, warum nicht.“, sage ich. Ich bin entspannt.
Und so gleiten wir in Schlangenlinien am Ganges entlang, und sehen zu, wie die bunte Stadt zum Leben erwacht, während einige Meter weiter andere Leben in Flammen aufgehen.
Magisch. Absolut magisch.
Allerdings rudern wir in die falsche Richtung.
„Der Kleine muss üben und in der anderen Richtung sind so viele Boote“, sagt der Vater.
„Aber in dieser Richtung ist nichts!“, entgegne ich.
Der Vater verdreht die Augen, übernimmt das Ruder und ich staune nun in die richtige Richtung weiter.
Danach bezahle ich brav den doppelten Preis und gebe dem Sohn, um nett zu sein, eine Packung Schoko-Kekse. „Fürs Rudern“, sage ich lächelnd.
„Die kannst du behalten.“, sagt das Kind, nicht lächelnd. „I want money.“
„Frag deinen Papa“, sage ich, „Der wird das Geld sicher mit dir teilen.“
„Ich teile gar nichts.“, sagt der Papa. „Und das ist überhaupt nicht mein Sohn.“
Ich steige laut schimpfend und kopfschüttelnd aus dem Boot, zur gleichen Zeit wie der Engländer, der friedlich lächelnd von dannen schwebt.
Sein Bootsfahrer Mogli schüttelt mit mir den Kopf.
Es sei schlimm, wie skrupellos manche Leute hier seien, sagt er traurig.
Es würde bald keiner mehr nach Indien kommen, deswegen.
Er hoffe sehr, dass ich mich auch an die guten Menschen hier erinnere.
Mach ich, Mogli.
Auch in den Straßen außerhalb der Ghats mangelt es nicht an Action.
Ich freue mich gerade über meinen unfassbar leckeren indischen Reiberdatschi mit Kokoschutney, da sehe ich, wie ein Polizist eine Fahrradrikscha mit zwei indischen Touristen anhält.
Der Polizist brüllt etwas sehr wütendes und drischt plötzlich mit seinem langen Holzstock auf den Fahrer ein. Der hebt wehrlos die Hände und sackt auf dem Boden zusammen.
Die zwei indischen Touristen springen erschrocken von der Rikscha.
Der Polizist lässt dem Fahrer die Luft aus dem Reifen und stapft davon.
Ich atme wieder weiter.
Der Rikscha-Fahrer wechselt in Sekundenschnelle seinen Gesichtsausdruck und lacht wie ein frecher Schuljunge. Die zwei indischen Touristen lachen mit ihm.
Na dann… ist ja alles in Ordnung (?) und ich kann mich wieder auf meine Einkaufs-Mission konzentrieren:
Ich suche eine indische Hose, um nicht in meinen Jeans zu erschwitzen.
Auf der Straße spricht mich ein Mann in gelbem T-Shirt an.
Er ist sehr nett und erzählt mir interessante Dinge… zum Beispiel, dass man in Varanasi, wenn es lange nicht geregnet hat, fürs Wetterglück Frösche verheiratet, und dass er indische Hosen verkauft.
„Ach, warum nicht“, denke ich, und begleite ihn in seinen Laden.
Dort verlangt er derart absurde Preise, dass ich mich höflich wieder verabschiede.
„How much is last price?“, fragt er. Doch ich habe wenig Lust, die nächsten fünf Stunden in seinem Kabuff zu hocken, um ihn nach 10 Chai-Tee auf ein Zwanzigstel des Preises herunterzuhandeln.
„Danke, nein“, sage ich. Und plötzlich ist der Mann im gelben T-Shirt nicht mehr so nett.
Er verfolgt mich noch minutenlang auf der Straße und bellt mir hinterher: „How much is last price?“.
Einen halben Tag später unterhalte ich mich mit einem alten Sari-Verkäufer.
Wir plaudern darüber, dass Frank-Walter Steinmeier gerade in Varanasi war und sich das Ganga Aarti angeschaut hat, mit Segenspunkt auf der Stirn!
Und dann plötzlich wiederholt der Verkäufer immer wieder:
„Lip of. Lip of“.
„Ha??“, sage ich. Da packt er mich an den Schultern und sagt: „Go!“.
Ich drehe mich um. Hinter mir steht der Mann im gelben T-Shirt.
“How much is last price?“, bellt er.
Jetzt verstehe ich! „Ripp off.“
Ich bedanke mich beim Sari-Verkäufer und schicke den Mann samt seinen gelben T-Shirt zum Teufel.
Doch schnell finde ich ein neues Anhängsel.
Diesmal ein dürrer Dreadlock-Inder mit Totenkopf-Tattoostrumpf über dem Arm, der mir eine Stunde lang nicht von der Seite weicht, und irgendwie ganz lustig ist.
Er versucht mir nämlich, den Weg zu zeigen – auf einer Straße, die ausschließlich geradeaus geht. „This way. This way.“, sagt er, nach vorne deutend.
„Ach soo!“, erwidere ich.
Ich fühle mich stark an die Szene in „Die fabelhafte Welt der Amelie“ erinnert, in der sie den Blinden über die Straße bringt und ihm jedes Detail beschreibt.
Ständig deutet der Tattoo-Strumpf-Arm auf die Stände am Straßenrand.
„Indian T-Shirt.“, sagt er mit wichtigem Gesicht. „Indian Scarf.“ „Indian Bra.“
Ich denke immer noch, das ist der „Indian Humor“, deute auf eine Rikscha und witzle: „Indian Rikscha!“
Sofort winkt der Tattoo-Strumpf-Arm die Rikscha heran.
„Gib mir mein Gehalt“, sagt er.
„Ha??“ sage ich.
„Na, ich war dein Reiseführer!“.
Und auch ihn schicke ich dahin, wo bereits der Mann im gelben T-Shirt, der „Not a Tourguide“, der Boots- und der Taxifahrer warten.
An meinem letzten Abend sitze ich nochmals am Main Ghat und warte auf die Ganga Aarti Zeremonie.
Diesmal neben einer indischen Familie mit zwei kleinen Töchtern.
Gerade, als es langsam dunkel und feierlich und leiser wird, entdeckt das kleine Mädchen eine Tröte in seiner Tasche und fängt voller Freude an, in selbige zu hyperventilieren.
Und wir lachen.
Endlich.