TANSANIA – Der Götterberg
PROLOG
„Bei uns Massai sind die Häuser aus Kuhdung, die Sandalen aus alten LKW-Reifen und wir haben keinen Strom.“, leiert der Junge im roten Umhang herunter, während der Massai neben ihm gelangweilt auf seinem Handy herumscrollt. Wir sind enttäuscht. Mareike und ich wollten auf unserem Tansania-Trip die echte Massai-Kultur erleben… und kein Touristen-Theater.
Und so buchen wir einige Tage später bei Agenturchef Biggie in Arusha ein Komplettpaket. Eine Wanderung auf den Götterberg der Massai, mit einem Massai-Guide und einer Übernachtung im Massai-Dorf. „Real Massai Experience“, grinst Biggie und sein Goldzahn glänzt in der afrikanischen Sonne. Dass wir hier gerade gratis einen Massai-Hexer, eine Massai-Gerichtsverhandlung und eine Massai-Schießerei dazu buchen, ahnen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Doch so viel vorweg: Die Massai-Götter müssen in den nächsten beiden Tagen einen Heiden-Spaß mit uns gehabt haben.
AKT 1 – Auf zum Götterberg!
Seit sechs Stunden brettern wir durch den kargen Busch. Mareike und ich sind zwischen viel zu vielen Tansaniern in einen alten Jeep gequetscht, dessen Reifen in Sandalen wohl besser aufgehoben gewesen wären. Unser Massai-Guide versteckt sich unter seiner Hoodie-Kapuze.
Er ist wohl nicht so zum Reden aufgelegt. Im Gegensatz zu unseren Mitfahrern. Sie bringen uns ein paar nützliche Dinge bei. Wie, dass man zu uns Bleichgesichtern hier „Musungus“ sagt, und, dass sich eine gebrochene Stoßstange wunderbar mit einem Sweatshirt wieder zusammenbinden lässt. Das hält garantiert… bis zur nächsten Baumwurzel.
AKT 2 – Ankunft im Götterdorf
Nach einigen Sweatshirt-Stoßstangen-Stopps sind wir am Ziel.
Ol Doinyo Lengai. So heißt der Götterberg. Ein aktiver Vulkan, der beeindruckend aus dem Busch emporragt. Heute Nacht wollen wir seinen Krater emporwandern und bei Sonnenaufgang heroisch über die Steppe blicken.
Der Jeep setzt uns im nächstgelegenen Dorf ab, eine halbe Stunde Autofahrt vom Vulkan entfernt. „Ich geh uns mal ne Mitfahrgelegenheit zum Götterberg suchen. Is` nicht so einfach hier.“, nuschelt der Guide und schlurft davon. Tatsächlich… einen Taxistand sehen wir hier nicht. Eine Straßenbahn auch nicht. Eine Straße auch nicht.
Vom kleinen Hügel unseres Gästehauses blicken wir auf die vielen Kuhdung-Hütten herab. Kahlgeschorene Frauen kochen Tee über dem Feuer, die Kinder dösen drinnen mit den Ziegen. Kein Strom. Keine Toilette. Kein Handyempfang weit und breit.
„Welcome to Africa“, grinst der Tansanier auf der Veranda rechts neben uns. Er will hier im Dorf einen Brunnen bauen. Von der linken Veranda nickt schüchtern ein zweiter Tansanier mit großem Schnurrbart.
Unten am großen Lagerfeuer laufen uns zwei Massai-Krieger entgegen.
„Oswald, nice to meet you.“, grüßt der Größere in einwandfreiem Englisch. „Little Warrior, hi.“, ergänzt der Kleinere. Schnell übersetzen die beiden dem ganzen Dorf, dass wir heute Nacht den Götterberg erklimmen wollen… Chapeau, Musungus!
AKT 3 – Götterberg, der erste Versuch
Es ist 1 Uhr nachts. Oswald, Little Warrior, Mareike und ich sitzen von zwei Fackeln beleuchtet und mit zwei Speeren gesichert unter einem Baum. Eine Stunde lang sind wir vom Dorf durch die Dunkelheit hierher gestolpert. „Ich geh mal kurz unsere Mitfahrgelegenheit vom Campingplatz hierher lotsen“, hatte unser Guide vor einer ganzen Weile gesagt.
Little Warrior nutzt die Wartezeit für eine Predigt. „Ihr Musungus müsst wieder zurück zur Natur finden! Wir brauchen hier kein Papier. Wir haben einen Klopapier-Baum!“, tönt er und zieht eine Dose Red Bull unter seinem Umhang hervor. Uns klappen die Kinnladen herunter. „Woher hast du die?“
„Ach, hier kommt alle zwei Wochen mal so ein Laster vorbei“, meint Little Warrior und lässt die Dose zischen.
Da schlurft unser Guide heran. Alleine. „Ja, ist jetzt blöd“, nuschelt er. „Die sind ohne uns gefahren. Schade, wär schon cool gewesen mit dem Götterberg.“
Oswald und Little Warrior bringen ihre Speere vor uns in Sicherheit.
„Ohne den Götterberg fahren wir nicht zurück. Ruf Biggie an!“, fordern wir.
„Hab kein Netz.“, bedauert er halbherzig.
Verzweifelt flehen wir die Krieger an: „Gibt es hier irgendwo Handyempfang?“
Da recken die beiden ihre Fackeln gen Himmel und deuten auf den gewaltigen Berg neben uns.
„Das ist unser Handyberg.“
AKT 4 – Der Handyberg
Seit Sonnenaufgang schnaufen wir den Handyberg hinauf. Nach einer schlaflosen Nacht, bei glühender Hitze. Deshalb wandert man hier also so gerne nachts.
„Pole, Pole.“ Langsam, langsam, ermahnen uns Oswald und Little Warrior.
Unser Wander-Guide schlurft lustlos hinterher. Wandern ist wohl nicht so sein Ding.
Nach sieben Stunden keuchen wir endlich aufs Gipfelplateau, und uns eröffnet sich ein göttlicher Anblick: Drei fröhliche Massai-Männer mit einem Handy um den Hals.
Einige Minuten später donnert tatsächlich ein wütender Biggie aus unserem Handylautsprecher. „Der spinnt ja wohl! Ihr bleibt einen Tag länger, auf meine Kosten. Und heute Nacht… geht Ihr auf den Götterberg!“. Unser Guide verdreht lustlos die Augen.
Stunden später taumeln wir am Ende unserer Kräfte pole, pole ins Dorf zurück… und trauen unseren Augen nicht: Am Lagerfeuer stehen zwei Musungus!
Seit Arusha haben wir kein einziges Bleichgesicht mehr gesehen. Und jetzt stehen genau hier zwei Münchener, die genau in dieser Nacht auch auf den Götterberg wollen, mit einem Guide, der bereits einen Jeep organisiert hat.
Hallelujah!
AKT 5 – Der Showdown
Mittlerweile sind wir seit 40 Stunden auf den Beinen. Es ist 23 Uhr und wir steigen gerade wieder in unsere Wanderschuhe. Auch die Münchener und ihr Guide stehen bereit. Nur einer fehlt. Da kommt unser Guide herangeschlurft. „Ich krieg noch 100 Dollar von euch. Für die Einlassgebühr zum Vulkan“.
„Don`t trust him!“, flüstert der andere Guide. Das haben wir mittlerweile auch begriffen.
Außerdem hätten wir sowieso kein Bargeld zur Hand, denn wir haben selbiges auf Biggies Anraten in Arusha gelassen. „Ihr bezahlt vor dem Trip.“, hatte er gesagt. „Wenn Ihr zu viel Geld mitnehmt, werdet Ihr bloß überfallen.“ Ein weiser Mann. Mal von der Auswahl seiner Tourguides abgesehen. Laut streitend ziehen wir zum großen Lagerfeuer. Dort kommt jetzt das halbe Dorf zusammen, um sich das Spektakel übersetzen zu lassen.
Der Guide macht keine Anstalten, unser Restgeld herauszurücken, und verschwindet schließlich – pole, pole – hinfort in den dunklen Busch.
Und wir gucken sehr blöd aus unserer Wanderwäsche.
Ein rundlicher Massai schiebt sich durch die Menge nach vorne.
„Ich bin der Häuptling. Ist Euch bekannt, dass Euch gestern am Götterberg die Polizei festnehmen wollte? Sie wussten, dass Ihr keine Genehmigung habt.“
„Aber wir haben ihm das Geld gegeben!“, beteuern wir.
„Es ist gut“ beruhigt uns der Häuptling. „Solange Ihr die drei Gebühren an den drei Schranken bezahlt habt, ist alles gut“.
Ich habe ein Flashback. Ein Flashback, wie wir mit unserem Sweatshirt-Jeep an drei geschlossenen Schranken vorbeibrettern.
„Und wenn nicht?“ frage ich kleinlaut.
„Dann ist die Kacke gewaltig am Dampfen.“, antwortet der Häuptling, frei übersetzt.
Wie wir erfahren, schulden wir dem Nationalpark jeweils 70 Dollar. Ohne das Lösegeld werden wir an der ersten Schranke auf den Botschafter warten müssen, bis wir alt und bärtig sind. „Wir leihen euch 200 Dollar!“, bieten uns die Münchener an. Doch wir schicken unsere Wanderfreunde alleine zum Vulkan.
Der Götterberg muss warten.
Wir müssen erst um irdisches Schlamassel klären.
AKT 6 – Die Suche
Der Häuptling entsendet seine Krieger mit Fackeln und Speeren in die Dunkelheit.
„Sie werden euren Guide finden. Und Ihr geht jetzt zum Polizeichef“.
„Hier gibt es einen Polizeichef?“, fragen wir.
„Ja, was denkt Ihr denn?“, erwidert der Häuptling beleidigt.
Wenig später klopfen wir an eine Kuhdung-Hütte, aus der ein kräftiges Schnarchen dringt.
Ein verpennter Mann in rotem Tuch streckt seinen Kopf aus der Tür. „Eh?“
Wir erzählen aufgeregt unsere Geschichte.
„Nooo Problem.“, gähnt der Polizeichef. „Ich habe eine Schusswaffe.“ Stolz hält er uns ein rostiges Gewehr unter die Nase. „Die einzige Schusswaffe im Dorf!“
Und schon verschluckt auch ihn das dunkle Nichts.
Am Gästehaus erwartet uns bereits der amüsierte Brunnenbauer.
„Welcome to Africa“, grinst er. „Wenn Ihr Angst kriegt, klopft bei mir, ich war in der Armee, alles easy!“
Wir fallen ins Bett… sehr sicher, dass die Krieger gerade ein paar Energy Drinks unter dem nächsten Klopapier-Baum zischen und sich über uns Musungus schlapp lachen.
AKT 7 – Die Wiederkehr
Es ist jetzt circa 3 Uhr morgens. Wir sind zu müde, um zu schlafen.
Da plötzlich werden Männerstimmen vor unserer Tür laut. Durch das trübe Fenster erkenne ich die Krieger… und unseren Guide. Seine Augen speien Feuer vor Wut.
„Bitteschön.“, sagen die Krieger.
„Und jetzt?“, fragen wir.
„Jetzt ist Gerichtsverhandlung.“
AKT 8 – Die Verhandlung
3 Uhr 30. Wir sitzen einen Hügel weiter auf zwei Plastikstühlen unter einem großen Holzpavillon.
Auf dem Plastikstuhl gegenüber würde uns der Guide gerne an die Gurgel gehen. Zum Glück stehen die Krieger mit ihren Speeren um uns herum Spalier.
Der Häuptling eröffnet die Verhandlung. Der Guide sei durchsucht worden, er habe kein Geld bei sich. „Weil die mir kein Geld gegeben haben“, schreit der Guide in seiner Aussage.
Wir hätten ihn dazu angestiftet, die Götterberg-Zeche zu prellen.
Nun spricht der Häuptling sein Urteil. Er glaubt uns.
„Ihr bekommt euer Geld zurück.“ schließt der Häuptling, „Wir treffen uns um sieben Uhr früh am Gefängnis.“
„Es gibt hier ein Gefängnis?“, fragen wir.
„Was denkt Ihr denn?“, entgegnet er beleidigt, und die Krieger führen unseren Guide den Hügel hinab.
AKT 9 – Die Schießerei
Es muss gegen fünf Uhr morgens sein. Der Krieger, der vor unserer Tür Wache hält, blickt stoisch ins schlafende Dorf hinab. Wir kriegen kein Auge zu. „Wie zur Hölle wollen sie mitten in der Nacht so viel Bargeld auftreiben?“, rätseln wir. In einem Dorf, in dem man sonst mit Ziegen bezahlt.
Doch mittlerweile sind wir sicher: Die Massai werden auch das wieder irgendwie hinbekommen.
Und wir entspannen uns.
Bis plötzlich ein Schuss durch die Nacht knallt. Und ein Mann gellend laut eine Parole schreit. Menschen kreischen. Wir stehen aufrecht in unserem Bett.
Noch ein Schuss. Noch lauter die Parole. Noch mehr Kreischen.
Durch das Fenster erkenne ich einen wabernden Pulk direkt unten am Hügel.
Der Krieger vor unserer Tür ist weg.
Schüsse, Brüllen, Kreischen. Es hört nicht auf.
Wir hämmern gegen die rechte Wand, springen mit einem Satz aus unserer Tür, auf die rechte Veranda, direkt zum Brunnenbauer ins Bett. Der hebt nun ganz langsam ein Augenlid, und mustert uns verdattert, während draußen die Schüsse krachen.
„Ihr bleibt hier.“, befiehlt er. „Ganz gleich, was Ihr hört.“
Und dann schlurft der Brunnenbauer barfuß in Boxershots in Richtung Schießerei.
Wir verstecken uns hinter dem Bett. Es wird nicht allzu lange dauern, bis man uns hier findet, denn es ist das einzige Möbelstück im Raum.
Immer noch Schüsse. Immer noch das inzwischen heisere Brüllen.
„Bitte, lass niemanden gestorben sein!“, bete ich in Richtung Götterberg.
Und dann wird es still.
Wir warten. Und warten. Und warten. Bis der Brunnenbauer endlich zurückkehrt.
Erschöpft lässt er sich auf das Bett fallen und bittet um einige Minuten Bedenkzeit.
Danach hat er sich die harmloseste Version der Geschichte zurechtgelegt.
„Es ist so: Euer linker Nachbar ist ein schwarzer Magier.“
„Der Schüchterne mit dem Schnurrbart?!?“
„Er wollte auf einen Raubzug gehen. Und weil er eine Machete und eine Axt und ein Messer dabeihatte, hat der Polizeichef ein paar Warnschüsse abgegeben und weil er auf Drogen war, hat er ein paar Hexensprüche gebrüllt.“
Wir haben eine leise Befürchtung, wohin der Magier auf seinem Raubzug wollte.
„Es kann euch nichts mehr passieren.“, beruhigt uns der Brunnenbauer. „Er ist im Gefängnis.“
„Oh, neben unserem Guide, schön.“, versuchen wir zu scherzen.
„Es ist so: Das Gefängnis hat nur eine Zelle. Sie mussten euren Guide wieder freilassen.“
AKT 10 – Das Finale
Wie bestellt sitzen wir um sieben Uhr morgens vor dem Gefängnis… einer Hütte mit drei Wänden aus Kuhdung und einer aus Gitterstäben.
Zum Finale erscheinen nochmal alle Beteiligten. Die Krieger schubsen den Hexer – lahmgelegt durch eine rasselnde Eisenkette an den Füßen – aus dem Gefängnis. Er sieht selbst für einen schwarzen Magier auf Entzug erschreckend fertig aus und murmelt weiter leise Hexensprüche. Auch unser Guide schaut nochmal vorbei, um uns keine gute Heimreise zu wünschen.
Dann endlich überreicht uns der Häuptling ein Bündel Geldscheine. 200 Dollar, genau genug für die drei Schranken und den Bus zurück nach Arusha. „Wir kennen seinen Cousin.“, nickt der Häuptling in Richtung Guide. „Wir holen uns das Geld wieder, keine Sorge.“
Da haben wir mittlerweile keine Bedenken mehr.
EPILOG
Stunden später bremst ein quietschender Reisebus vor dem großen Lagerfeuer.
Hunderte Augenpaare starren uns an.
„Das sind RICHTIGE Buschmänner“, meint der Häuptling. „Sie haben noch nie eine Musungu gesehen.“ Ich bedauere sehr, dass wir kein würdigeres erstes Bild abgeben. Mich selbst habe ich mangels Spiegel seit zwei Tagen nicht mehr gesehen, aber Mareikes Gesicht ist grau vor Dreck – mit zwei senkrechten, sauberen Bahnen direkt unter den Augen. Mit dem Versprechen, eines Tages zum Götterberg zurückzukehren, quetschen… nein, rammen wir uns in den überfüllten Bus hinein. Verwunderte Finger versuchen, mir die Sommersprossen von den Armen zu kratzen, während der Mann neben mir genüsslich am gekochten Kiefer einer Ziege nagt.
Da stehe ich kurz in Ohnmacht. Fürs Fallen ist zum Glück kein Platz.
Acht Stunden und zwei Reifenpannen später sind wir zurück in Arusha, um eine „Real Massai Experience“ reicher.
Sollte der Ol Doinyo Lengai demnächst ausbrechen, bin ich mir sicher:
Es war ein Prusten der Götter.